Ein Jahr ohne Zucker: Der Entzug

Auf Zucker verzichten. Ein gesundes und immer hipper werdendes Vorhaben. Viele haben es vor, einige fangen an, etliche scheitern. Mit ein Grund: Der Zuckerentzug. Mögliche Begleiterscheinungen: Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwächeanfälle, Wutausbrüche, Heulkrämpfe, … klingt wenig prickelnd, oder? Entsprechend viel Respekt hatte ich vor den ersten Wochen.

Zwei bis drei Tage bis hin zu einigen Wochen kann der Entzug wohl gehen, begleitet von netten Entzugserscheinungen. So viel Zucker wie ich bisher in mich hineingestopft habe, rechnete ich mit dem Schlimmsten.

Der Start war berauschend. Ich war so stolz auf mich, dass ich den Entschluss gefasst hatte, ein Jahr ohne Zucker zu leben – und jetzt hatte das Jahr endlich angefangen. Ja, ich weiß, „kein Zucker“ ist ein sehr weit dehnbarer Begriff. Entweder es wird einem Programm gefolgt, oder man macht sich seine eigenen Regeln. Ich bin definitiv ein Typ für ein eigenes Regelwerk. Außerdem hatte ich beschlossen für eine gewisse Umstellungsphase hard-core zu sein und nur ein Minimum Kohlehydraten zu mir zu nehmen.

Eier, Käse und Gemüse zum Frühstück, zu Mittag Gemüsesuppe. Ein super Anfang war gemacht und ich fühlte mich angenehm überheblich und unbesiegbar. Stolz postet ich ein tiefgründiges Taylor Swift Zitat bei Instagram, um den digitalen Startschuss für mein Jahr der Verwandlung zu geben.

Ich war high von meiner eigenen Entschlossenheit. Und dann wollte ich kotzen. Nein, ich kann es nicht eleganter ausdrücken. Mir war vom einen Moment auf den anderen so übel, als hätte ich gerade einen Eimer verdorbener Fische gegessen.

"Übelkeit kann eine Zuckentzugserscheinung sein"

Auf dem Boden kauernd, den Kopf knapp über der Kloschüssel haltend, klopfte ich meine Hosentasche nach dem Handy ab. Denn was mach der internetsüchtige Mensch in einer Situation in der Not? Natürlich: Dr. Google fragen. Ich las, dass Übelkeit eine Zuckentzugserscheinung sein kann. Las von Keto-Schnupfen  einem Umstellungsübel, der auftreten kann, wenn man zur ketogenen Ernährung wechselt. Ich las, dass Bewegung gegen die Übelkeit helfen könne, weil so wieder mehr Sauerstoff ins Blut käme und irgendwas mit verbesserter Fettverbrennung und irgendeiner Flexibilität.

Also kratzte ich mich vom Boden des Badezimmers und fing an Squats zu machen und wild die Arme um meinen Körper zu schwingen. Dabei hatte ich Angst das tolle Eier-Käse-Gemüse-Frühstück über den Boden, die Wand und den das Stoffsofa zu verteilen.

Zu meinem und dem Glück der Einrichtung, blieb das Exorzisten-Gereiere aus und ich fühlte mich nach knapp einer Minute tatsächlich etwas besser.

Schnell warf ich eine Handvoll Mandeln in meinen Mund und pirschte zum Kühlschrank um mir ein fettes Stück meines Lieblingskäses abzuschneiden, von dem ich vorsorglich 800 Gramm gekauft hatte. Schließlich ist der 1. Januar ein Feiertag und man weiß nie, wann man dringend Käse braucht – vor allem, wenn man keinen Zucker isst. Dann noch ein großes Glas Wasser und ich fühlte mich wieder ok; für ca. zwei Stunden.

"Hallo, Vollkorn! Ich komme!"

Da lag ich wieder, auf dem flauschigen, grünen Toilettenvorleger, auf dem nichtsdestotrotz verdammt zugigen Boden und nach kaum mehr als 20 Stunden meiner Zuckerfreiheit kamen die ersten Zweifel.

So ging das den Abend und die Nacht über weiter. Extreme Übelkeit, Squats, Käse, Wasser, besser, wieder übel, wieder Squats, … bis ich gegen 4 Uhr morgens vom extremen Brechreiz geweckt wurde, genug hatte und ein halbes Stück Roggen-Sauerteig-Knäckebrot gegessen habe.

Und die Übelkeit ward nicht mehr gesehen.

So stellte ich nach 28 Stunden meines Projekts das erste Mal die Regeln um. Ein wenig gesunde Kohlehydrate werde ich essen. Aber nur so viel, dass mir nicht schlecht wird. Hallo, Vollkorn! Ich komme!

"Die erste Woche dachte ich unentwegt an Süßes"

Der nächste Tag war geprägt von Kopfschmerzen und Gedanken an Süßkram.

Und dann … dann wurde es unspektakulär. Mir ging es schon am dritten Tag ohne Zucker ziemlich gut. Ab und zu bekam ich leichte Kopfschmerzen, abends im Bett zuckten die Muskeln im meinen Hintern lustig und die erste Woche dachte ich unentwegt an Süßes. Wirklich, ich kam mir vor, als hätten Milka, Ferrero und Katjes einen Dauerwerbeblock in meinem Gehirn gebucht.

Irgendwann übernahm der Alltag vom Zuckerentzug die Regie und das Thema Entzug schien abgehakt.

Bis, wie nicht anders zu erwarten, der Tag kam, vor dem ich mich gefürchtet hatte. Ich wachte auf und wusste es. Heute ist nicht gut. Heute ist grau, kalt, trist – vor dem Fenster und in mir.

Früher hätte ich mich mit Süßkram vollgestopft und mich danach noch schlechter gefühlt. Dieses Mal musste ich anders damit umgehen. Kalte Dusche, laute Musik, Sachen erledigen, viel bewegen. Ich habe tatsächlich die Energie dafür gefunden und es hat funktioniert.

Okay, der Tag wurde nicht magisch großartig, aber er war viel besser als er hätte sein können. Am nächsten Tag bin ich dankbar aufgewacht. Ich habe einen meiner dunklen Tage ohne Zucker überlebt.

 

Für mich ist das eine richtig große Sache. Schließlich ist einer meiner Gründe, den Zucker für ein Jahr aufzugeben, dass in Studien mit Depressionen in Verbindung gebracht wird.

"Als wäre mein Zuckeressen ferngesteuert"

Der erste Monat ohne Zucker ist fast geschafft. Und der Zuckerentzug? Fast, würde ich sagen. Ich werden weder von Kopfschmerzen, Übelkeit noch lustigem Muskelzucken heimgesucht. Aber, wenn auch deutlich dezenter, der Süßigkeiten Werbeblock in meinem Kopf ist noch aktiv. Besonders nachts.

Ständig träume ich, ich hätte völlig unbeabsichtigt eine Packung Schokolade gekauft, sie ohne es zu wollen geöffnet und sie unbewusst komplett aufgegessen. Und das meine ich nicht witzig ironisch. In meinem Traum fühlt es sich wirklich wie aus Versehen an. Als wären meine Handlung zum Zuckeressen ferngesteuert, Ist vermutlich ziemlich nah dran, an meiner alten Realität.

Trotz der vielen Gedanken an Zucker, besonders wenn ich müde bin  – und mit einem fünf Monate alten Baby und einer Zweijährigen ist man oft müde – in Versuchung bin ich bisher noch nicht gekommen.

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